Wir sa?en nach Tische in einem vertrauten Gesprach und waren alle heiter und guten Muts. Es war gegen Mitternacht, als sich auf einmal eine klagliche, durchdringende, angstliche und lang nachtonende Stimme horen lie?. Wir fuhren zusammen, sahen einander an und sahen uns um, was aus diesem Abenteuer werden sollte. Die Stimme schien an den Wanden zu verklingen, wie sie aus der Mitte des Zimmers hervorgedrungen war. Der Marchese stand auf und sprang ans Fenster, und wir andern bemuhten uns um die Schone, welche ohnmachtig dalag. Sie kam erst langsam zu sich selbst. Der eifersuchtige und heftige Italiener sah kaum ihre wieder aufgeschlagenen Augen, als er ihr bittre Vorwurfe machte. ›Wenn Sie mit Ihren Freunden Zeichen verabreden‹, sagte er, ›so lassen Sie doch solche weniger auffallend und heftig sein.‹ Sie antwortete ihm mit ihrer gewohnlichen Gegenwart des Geistes, da?, da sie jedermann und zu jeder Zeit bei sich zu sehen das Recht habe, sie wohl schwerlich solche traurige und schreckliche Tone zur Vorbereitung angenehmer Stunden wahlen wurde.

Und gewi?, der Ton hatte etwas unglaublich Schreckhaftes. Seine lange nachdrohnenden Schwingungen waren uns allen in den Ohren, ja in den Gliedern geblieben. Sie war bla?, entstellt und immer der Ohnmacht nahe; wir mu?ten die halbe Nacht bei ihr bleiben. Es lie? sich nichts weiter horen. Die andere Nacht dieselbe Gesellschaft, nicht so heiter als Tags vorher, aber doch gefa?t genug, und — um dieselbige Zeit derselbe gewaltsame, furchterliche Ton.

Wir hatten indessen uber die Art des Schreies, und wo er herkommen mochte, unzahlige Urteile gefallt und unsre Vermutungen erschopft. Was soll ich weitlaufig sein? Sooft sie zu Hause a?, lie? er sich um dieselbige Zeit vernehmen, und zwar, wie man bemerken wollte, manchmal starker, manchmal schwacher. Ganz Neapel sprach von diesem Vorfall. Alle Leute des Hauses, alle Freunde und Bekannte nahmen den lebhaftesten Teil daran, ja die Polizei ward aufgerufen. Man stellte Spione und Beobachter aus. Denen auf der Gasse schien der Klang aus der freien Luft zu entspringen, und in dem Zimmer horte man ihn gleichfalls ganz in unmittelbarer Nahe. Sooft sie auswarts a?, vernahm man nichts; sooft sie zu Hause war, lie? sich der Ton horen.

Aber auch au?er dem Hause blieb sie nicht ganz von diesem bosen Begleiter verschont. Ihre Anmut hatte ihr den Zutritt in die ersten Hauser geoffnet. Sie war als eine gute Gesellschafterin uberall willkommen, und sie hatte sich, um dem bosen Gaste zu entgehen, angewohnt, die Abende au?er dem Hause zu sein.

Ein Mann, durch sein Alter und seine Stelle ehrwurdig, fuhrte sie eines Abends in seinem Wagen nach Hause. Als sie vor ihrer Ture von ihm Abschied nimmt, entsteht der Klang zwischen ihnen beiden, und man hebt diesen Mann, der so gut wie tausend andere die Geschichte wu?te, mehr tot als lebendig in seinen Wagen.

Ein andermal fahrt ein junger Tenor, den sie wohl leiden konnte, mit ihr abends durch die Stadt, eine Freundin zu besuchen. Er hatte von diesem seltsamen Phanomen reden horen und zweifelte, als ein muntrer Knabe, an einem solchen Wunder. Sie sprachen von der Begebenheit. ›Ich wunschte doch auch‹, sagte er, ›die Stimme Ihres unsichtbaren Begleiters zu horen; rufen Sie ihn doch auf, wir sind ja zu zweien und werden uns nicht furchten!‹ Leichtsinn oder Kuhnheit, ich wei? nicht, was sie vermochte, genug, sie ruft dem Geiste, und in dem Augenblicke entsteht mitten im Wagen der schmetternde Ton, la?t sich dreimal schnell hintereinander gewaltsam horen und verschwindet mit einem banglichen Nachklang. Vor dem Hause ihrer Freundin fand man beide ohnmachtig im Wagen, nur mit Muhe brachte man sie wieder zu sich und vernahm, was ihnen begegnet sei.

Die Schone brauchte einige Zeit, sich zu erholen. Dieser immer erneuerte Schrecken griff ihre Gesundheit an, und das klingende Gespenst schien ihr einige Frist zu verstatten, ja sie hoffte sogar, weil es sich lange nicht wieder horen lie?, endlich vollig davon befreit zu sein. Allein diese Hoffnung war zu fruhzeitig.

Nach geendigtem Karneval unternahm sie mit einer Freundin und einem Kammermadchen eine kleine Lustreise. Sie wollte einen Besuch auf dem Lande machen; es war Nacht, ehe sie ihren Weg vollenden konnten, und da noch am Fuhrwerke etwas zerbrach, mu?ten sie in einem schlechten Wirtshaus ubernachten und sich so gut als moglich einrichten.

Schon hatte die Freundin sich niedergelegt, und das Kammermadchen, nachdem sie das Nachtlicht angezundet hatte, wollte eben zu ihrer Gebieterin ins andre Bett steigen, als diese scherzend zu ihr sagte: ›Wir sind hier am Ende der Welt, und das Wetter ist abscheulich, sollte er uns wohl hier finden konnen?‹ Im Augenblick lie? er sich horen, starker und furchterlicher als jemals. Die Freundin glaubte nicht anders, als die Holle sei im Zimmer, sprang aus dem Bette, lief, wie sie war, die Treppe hinunter und rief das ganze Haus zusammen. Niemand tat diese Nacht ein Auge zu. Allein es war auch das letztemal, da? sich der Ton horen lie?. Doch hatte leider der ungebetene Gast bald eine andere, lastigere Weise, seine Gegenwart anzuzeigen.

Einige Zeit hatte er Ruhe gehalten, als auf einmal abends zur gewohnlichen Stunde, da sie mit ihrer Gesellschaft zu Tische sa?, ein Schu?, wie aus einer Flinte oder stark geladnen Pistole, zum Fenster herein fiel. Alle horten den Knall, alle sahen das Feuer, aber bei naherer Untersuchung fand man die Scheibe ohne die mindeste Verletzung. Desungeachtet nahm die Gesellschaft den Vorfall sehr ernsthaft, und alle glaubten, da? man der Schonen nach dem Leben stehe. Man eilt nach der Polizei, man untersucht die benachbarten Hauser, und da man nichts Verdachtiges findet, stellt man darin den andern Tag Schildwachen von oben bis unten. Man durchsucht genau das Haus, worin sie wohnt, man verteilt Spione auf der Stra?e.

Alle diese Vorsicht war vergebens. Drei Monate hintereinander fiel in demselbigen Augenblicke der Schu? durch dieselbe Fensterscheibe, ohne das Glas zu verletzen, und, was merkwurdig war, immer genau eine Stunde vor Mitternacht, da doch gewohnlich in Neapel nach der italienischen Uhr gezahlt wird und Mitternacht daselbst eigentlich keine Epoche macht.

Man gewohnte sich endlich an diese Erscheinung wie an die vorige und rechnete dem Geiste seine unschadliche Tucke nicht hoch an. Der Schu? fiel manchmal, ohne die Gesellschaft zu erschrecken oder sie in ihrem Gesprach zu unterbrechen.

Eines Abends nach einem sehr warmen Tage offnete die Schone, ohne an die Stunde zu denken, das bewu?te Fenster und trat mit dem Marchese auf den Balkon. Kaum standen sie einige Minuten drau?en, als der Schu? zwischen ihnen beiden durch fiel und sie mit Gewalt ruckwarts in das Zimmer schleuderte, wo sie ohnmachtig auf den Boden taumelten. Als sie sich wieder erholt hatten, fuhlte er auf der linken, sie aber auf der rechten Wange den Schmerz einer tuchtigen Ohrfeige, und da man sich weiter nicht verletzt fand, gab der Vorfall zu mancherlei scherzhaften Bemerkungen Anla?.

Von der Zeit an lie? sich dieser Schall im Hause nicht wieder horen, und sie glaubte nun endlich ganz von ihrem unsichtbaren Verfolger befreit zu sein, als auf einem Wege, den sie des Abends zu einer Freundin machte, ein unvermutetes Abenteuer sie nochmals auf das gewaltsamste erschreckte. Ihr Weg ging durch die Chiaja, wo ehemals der geliebte genuesische Freund gewohnt hatte. Es war heller Mondschein. Eine Dame, die bei ihr sa?, fragte: ›Ist das nicht das Haus, in welchem der Herr gestorben ist?‹

— ›Es ist eins von diesen beiden, soviel ich wei?‹, sagte die Schone, und in dem Augenblicke fiel aus einem dieser beiden Hauser der Schu? und drang durch den Wagen durch. Der Kutscher glaubte angegriffen zu sein und fuhr mit aller moglichen Geschwindigkeit fort. An dem Orte ihrer Bestimmung hob man die beiden Frauen fur tot aus dem Wagen.

Aber dieser Schrecken war auch der letzte. Der unsichtbare Begleiter anderte seine Methode, und nach einigen Abenden erklang vor ihren Fenstern ein lautes Handeklatschen. Sie war als beliebte Sangerin und Schauspielerin diesen Schall schon mehr gewohnt. Er hatte an sich nichts Schreckliches, und man konnte ihn eher einem ihrer Bewunderer zuschreiben. Sie gab wenig darauf acht; ihre Freunde waren aufmerksamer und stellten wie das vorigemal Posten aus. Sie horten den Schall, sahen aber vor wie nach niemand, und die meisten hofften nun bald auf ein volliges Ende dieser Erscheinungen.

Nach einiger Zeit verlor sich auch dieser Klang und verwandelte sich in angenehmere Tone. Sie waren zwar nicht eigentlich melodisch, aber unglaublich angenehm und lieblich. Sie schienen den genauesten Beobachtern von der Ecke einer Querstra?e her zu kommen, im leeren Luftraume bis unter das Fenster hinzuschweben und dann dort auf das sanfteste zu verklingen. Es war, als wenn ein himmlischer Geist durch ein schones Praludium aufmerksam auf eine Melodie machen wollte, die er eben vorzutragen im Begriff sei. Auch dieser Ton verschwand endlich und lie? sich nicht mehr horen, nachdem die ganze wunderbare Geschichte etwa anderthalb Jahre gedauert hatte.»

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Als der Erzahler einen Augenblick innehielt, fing die Gesellschaft an, ihre Gedanken und Zweifel uber diese Geschichte zu au?ern, ob sie wahr sei, ob sie auch wahr sein konne.

Der Alte behauptete, sie musse wahr sein, wenn sie interessant sein solle; denn fur eine erfundene Geschichte habe sie wenig Verdienst. Jemand bemerkte darauf, es scheine sonderbar, da? man sich nicht nach dem abgeschiedenen Freunde und nach den Umstanden seines Todes erkundigt, weil doch daraus vielleicht einiges zur Aufklarung der Geschichte hatte genommen werden konnen.

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«Auch dieses ist geschehen«, versetzte der Alte;»ich war selbst neugierig genug, sogleich nach der ersten Erscheinung in sein Haus zu gehen und unter einem Vorwand die Dame zu besuchen, welche zuletzt recht mutterlich fur ihn gesorgt hatte. Sie erzahlte mir, da? ihr Freund eine unglaubliche Leidenschaft fur das Frauenzimmer gehegt habe, da? er die letzte Zeit seines Lebens fast allein von ihr gesprochen und sie bald als einen Engel, bald als einen Teufel vorgestellt habe.

Als seine Krankheit uberhandgenommen, habe er nichts gewunscht, als sie vor seinem Ende noch einmal zu sehen, wahrscheinlich in der Hoffnung, nur noch eine zartliche Au?erung, eine Reue oder sonst irgendein Zeichen der Liebe und Freundschaft von ihr zu erzwingen. Desto schrecklicher sei ihm ihre anhaltende Weigerung gewesen, und sichtbar habe die letzte, entscheidende abschlagliche Antwort sein Ende beschleunigt. Verzweifelnd habe er ausgerufen: ›Nein, es soll ihr nichts helfen! Sie vermeidet mich; aber auch nach meinem Tode soll sie keine Ruhe vor mir haben!‹ Mit dieser Heftigkeit verschied er, und nur zu sehr mu?ten wir erfahren, da? man auch jenseits des Grabes Wort halten konne.»